Künstlerische Ausdruckskraft ist ein essentieller Bestandteil einer gelungenen musikalischen Darbietung. Doch wie ist diese - oftmals etwas magisch angesehene - Dimension der musikalischen Ausdruckskraft theoretisch zu fassen?
Jedes Musizieren wird ausgelöst durch die Bewegung des eigenen Körpers. Körperlichkeit wird zu Klang. Zum Teil virtuos ausdifferenzierte Bewegungen wirken direkt auf das Instrument, Bewegung bringt die eigene Stimme zum Klingen, im Dirigat wirkt auf geradezu zauberhafte Weise die Bewegung auf einen fremden Klangkörper. Ein beachtlicher Teil der Bewegungen wird im Üben internalisiert und vollzieht sich im Moment des Musizierens unbewusst, ein weiterer Teil wird im Moment bewusst gesteuert und kann das klangliche Resultat beeinflussen.
Künstlerischer Ausdruck kann sich, ebenso wie musikalisch-technische Fertigkeit - nur über den Körper entfalten: Er ist nicht etwa abgekoppelt vom musizierenden Körper und findet auf nichtstofflicher, rein geistiger Ebene statt sondern basiert vielmehr zu einem erheblichen Teil auf der individuellen Körperlichkeit des Musizierenden. Also nicht zuletzt auf unbewusst ablaufenden, oftmals sehr subtilen, Bewegungen, in denen sich die Summe der Lebenserfahrungen des individuellen Künstlers spiegeln und die sich dem Publikum - teils offensichtlich teils unbewusst vermitteln.
Die Bedeutung der individuellen Körperlichkeit für das Musizieren ist mittlerweile unstrittig. Sie manifestiert sich nicht zuletzt in einem weit gefächerten Angebot von körperorientierten Praktiken, die aber weitestgehend isoliert von der allgemeinen musikalischen Lehr- und Übepraxis stattfinden und nur indirekt aufeinander einwirken.
Die explizite Verbindung körperorientierter Selbsterfahrung und musikalisch-technischer Arbeit jedoch exploriert eine Übergangszone, in der künstlerische Ausdruckskraft konkret form- und gestaltbar wird.
Dabei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Zum einen das nach Innen gerichtete Finden eines musikalischen Ausdrucks, das Aufspüren einer inneren Resonanz mit dem “zu verkörpernden” Werk, zum anderen die nach Außen gerichtete Vermittlung dieses Ausdrucks, die Resonanz mit den Rezipient*innen, die Transmission des eigenen künstlerischen Empfindens. Für beide Aspekte ist zum einen die umfassende Kenntnis, technische Beherrschung und ästhetische Erfassung des Werkes zum anderen ein Zugang zu tiefem Inneren, das Aushalten einer Durchlässigkeit zum Unbewussten, nicht begrifflich Fassbarem und eine hohe körperliche Präsenz notwendig.
In dem Projekt Embodied Expression wird der Körper als Medium und Quelle künstlerischer Ausdruckskraft erschlossen. Aus der Verknüpfung, Kombination und Verschmelzung etablierter Methoden der musikalisch-technischen Praxis und der körperorientierten Selbsterfahrung werden konkrete Übungsformen entwickelt, die direkt auf den künstlerischen Ausdruck einwirken.
Künstlerischer Ausdruck wird aus der mystisch anmutenden Ecke der “Gnade”, “Begabung” bis hin zur “Genialität” herausgeholt und in einen erarbeitbaren, veränderbaren Gegenstand von Übung und Unterricht überführt.